Terrassenweinbau

Terrassenweinbau

Anachronismus oder Avantgarde?

Ein Weinberg als Naturlandschaft? Das ist die große Ausnahme von der Regel, wie etwa der Naturpark der Sioux in South Dakota, in dem unser Winzerfreund Elder Nygaard die Trauben der wild an den Bäumen emporrankenden Reben ernten darf.


Der Weinbau ist seit alters her geprägt vom Eingriff des Menschen in die Natur, ist vielleicht sogar die älteste Form von Agri-Kultur. Kultur? Ist der moderne Weinbau noch Kultur, ein Beitrag zur Zivilisation? Der gerade populäre Begriff "Naturwein" ist ein geschicktes Ablenkungsmanöver. Natürlich passt die Überhöhung der guten Mutter Natur Erbsündetheoretikerinnen, Matriarchatsträumern und verkitschten Romantikern wunderbar ins ideologische (Marketing-) Konzept. Der ehrliche, kontemporäre Ansatz ist jedoch ein anderer:  Wie gestaltet sich ein sinnvoller Umgang des Menschen mit der Natur? Wo und wie wird liebevolles Begleiten zur Vergewaltigung? 


Die steilen Felsen zu domestizieren, um die hängenden Gärten Mosellas zu formen, war eine unglaubliche zivilisatorische Leistung unserer Vorfahren. Vor Ort aus dem Fels Steine brechen, Mauern errichten, um die Hangneigung auf halbwegs erträgliche 100 Prozent zu verringern, dann den Hohlraum mit Erde, Steinen und Pflanzenresten füllen und letztlich Reben pflanzen. Vor dieser kulturellen Leistung können wir nur den Hut ziehen. Eine derartige Investition könnte heute niemand mehr stemmen. Vorsichtig gerechnet würde die Anlage von einem Hektar Terrassenweinberg heute ca. 1,5 Millionen Euro kosten. Selbst bei Umsätzen von extrem optimistischen 100 TE ein völlig illusorisches Unterfangen. Aber wenigstens den Erhalt der Terrassen sollten wir hinbekommen! Wenn die Reparaturen der Mauern und die Pflege der Reben denn nur nicht so arbeitsintensiv wären. Im Weingut haben wir 13 km Weinbergsmauern! Und statt mechanisierte 250-600 Stunden benötigen wir in Handarbeit über 2000 Stunden, um einen Hektar sinnvoll und nachhaltig zu bewirtschaften. Uff... 


Von den gut 100.000 ha Rebflächen sind in Deutschland nur noch um die 750 ha, also weniger als ein Prozent, terrassiert. Bei dieser Relation liegt es nahe, die Terrassen als ökologisch-landespflegerisch wichtige und touristisch vermarktungsfähige Museumslandschaften subventioniert am Leben zu halten. 


Und uns Winzer als staatlich alimentierte Museumswächter? Nein danke! 

   

Ende des 19. Jahrhunderts musste ein Handwerksmeister 3-4 Tage arbeiten, um einen Quadratmeter im Uhlen kaufen zu können. Heute ist das in 20 Minuten getan. Und die Flasche Wein aus dem Uhlen kostete so viel wie Chateau Margaux, ein Röttgen so viel wie ein Clos du Roi. Heute liegt die Relation bei 1 : 20. Nun, keine Angst, wir benötigen keine 500.- Euro pro Flasche, um die Terrassen aus eigener Kraft nachhaltig bewirtschaften zu können. Aber...


November 2020. Wie in jedem Jahr erscheint der Weinguide VINUM - ehemals Gault-Millau - und ehrt Winzer und Weine. Bei den Top 10 der trockenen deutschen Rieslinge als einziger Wein von der Mosel unser 2019er Uhlen Laubach. Preis 37.- Euro. Alle anderen Weine reiften in Parzellen, die mit dem Traktor befahren werden. Ihr Durchschnittspreis: 132.- Euro (ohne die gut 2000.- für den teuersten Wein eingerechnet zu haben).


Wir sind optimistisch. Denn parallel zur fortschreitenden Industrialisierung des Weins und einer Geschmacksoptimierung durch immer trickreicheres Food-design formiert sich weltweit die Gegenbewegung. Sicher, die Nische für kulturbeseelte Weine ist sehr klein. Aber wie viele Weinberge gibt es denn, die Jahr für Jahr wirkliche boden- und klimabedingte Singularitäten hervorbringen? Was sind fünf geschmacklich einzigartige Hektar Uhlen Laubach für den Weltmarkt? Auf wie viele Weinfreaks und Restaurants lassen sich 10.000 schiefervibrierende Flaschen Uhlen Blaufüsser Lay verteilen?


Nachhaltiger Weinbau in unseren extremen Terrassen ist alles andere als ein anachronistisches Relikt, er gehört zur weinkulturellen Avantgarde. 

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