Selektion J, Cuvee Max, Spätlese***, Alte Reben, Reserve… Begeben wir uns auf eine Zeitreise in die Weinwelt der 1990er Jahre. Die Namen weltberühmter Gemeinden und Einzellagen haben ihre Strahlkraft weitgehend verloren und schmachten, oft aufgemotzt mit dem Prädikat Spätlese, in den unteren Regalen der Discounter. So ziemlich alles, was den deutschen Wein in der Belle Époque als einen der begehrtesten Tropfen der Welt auszeichnete, wurde in den Wirtschaftswunderjahren auf dem billigem Marketingaltar verbrannt. Hochwertige Weine sind im Wesentlichen über die Namen der bekannten Weingüter definiert. Am besten in Verbindung mit Trocken, Bio und einem gut klingenden Appendix.
Mit den 90er Jahren beginnen aber auch die Dekaden der Biotechnologie. Nach Jahren der Ertragssteigerungen, Schlagkraft und Hygiene, wird mit „neuen önologischen Verfahren“, gepaart mit gezüchteten Hefen, Enzymen & CO, ein neues Wein-Zeitalter eingeläutet. Das moderne Food-Design erlaubt bislang ungeahnte Möglichkeiten der Verbesserung oder – je nach Standpunkt – Manipulation von Geschmack. Und der Winzer? Spielt er die Rolle von Miraculix, der mit wohlschmeckendem Zaubertrank die Weininvasoren aus romanischen Gefilden abwehrt? Oder ist er eine Inkarnation Frankensteins, der sich mit der Züchtung von Monstern an der Schöpfung versündigt? Wie auch immer… Der Wein jedenfalls ist angekommen in der globalisierten Industriegesellschaft. „Geschmacksoptimierung!“, ruft der önologische Zeitgeist.