Posted on 04. Januar by Markus Vahlefeld
Lieber Reinhard,
sich wegen eines Fehlers in Behandlung zu begeben, dazu besteht überhaupt kein Anlass und ich halte es da mit Thomas Jefferson: Der Irrtum kann toleriert werden, wo die Vernunft frei ist, ihn zu bekämpfen. Let’s agree to differ.
Du willst Butter bei die Fische des Terroirs, sei’s drum!
Wenn ich den Begriff Terroir sich entwickeln lasse, kommt ein zweiter Begriff hinzu, der leider mindestens so nebulös ist wie der, den er erklären oder zumindest abstützen soll. Es ist der Begriff der Typizität. Ein Terroirwein ist ein regionentypischer Wein. Das setzt zum einen voraus, dass ich als Weinliebhaber, Verkoster oder einfach Wein- trinker andere Weine der Region kenne und eine Geschmacksidee der regionalen Typizität in mir trage – sozusagen Goethes Urpflanze auf den Wein übertrage: welches ist das Urbild des Weins aus eben dieser Region?
Zum anderen bedeutet Typizität aber auch, dass es diese “typischen” Weine vielleicht noch gar nicht gibt oder schon lange nicht mehr gibt. Typizität klingt so absolut und gemeißelt, ist aber vielmehr eine Idee, die ständigem Wandel unterworfen ist. Das fängt mit dem Ist-Zustand, also der normativen Kraft des Faktischen an, geht über die sich verändernden klimatischen Bedingungen bis hin zu neuen Erkenntnissen, Möglichkeiten und sogar Moden in der Weinbereitung wie auch Weinrezeption. Typizität, wie ich sie verstehe, ist nicht Wein zu machen, wie er vor 100 oder von mir aus auch 1.000 Jahren gemacht wurde, sondern im Weinbereitungsprozess einem eigenen Ur- bild zu folgen, das man schlüssig und transparent darlegen kann.
Wenn alle Winzer einer Region über Jahrzehnte hinweg weinbau- und kellertechnische Maßnahmen anwenden, die zwar eine scheinbare Typizität herstellen, aber in ihrem Resultat zu Eindimensionalität, Gleichklang und Belanglosigkeit führen, dann mögen irgendwann all diese Weine als typisch gelten, aber es fehlt eben eine Idee der Typizität. Das Urbild verwelkt.
Die Mosel ist ja ein ziemlich gutes Beispiel für den Verlust und schließlichen Wiedergewinn von Typizität, der ohne die Löwensteins und Molitore und Niewodniczanskis und wie sie alle heißen, gar nicht möglich gewesen wäre.
Mir geht es dabei viel weniger um irgendwelche Bio- oder Demeter-Siegel, als vielmehr um Transparenz und darum, dass der Winzer die Maßnahmen, die er ergreift, einzig aus dem Umstand heraus ergreift, dass sie zur Verwirklichung dieses Urbildes notwendig sind.
Kommen wir zum Kellerberg, den Du ansprichst. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, welchem Urbild Weine, die nur dadurch extremst spät gelesen werden konnten, weil sie mit einer hübschen Menge an Botrytiziden gespritzt wurden, folgen sollten. Das mögen beeindruckende Weine sein, aber sie bauen auf einer Lüge auf.
Die Winzer versenden bunte Bildchen ihrer November-Träubchen an ihre Kunden, würden aber nie und nimmer ehrlich sagen, wieso diese Träubchen Mitte November noch so verdammt gesund aussehen. Der Eindruck, den diese tollen Weine in mir hinterlassen, wandelt sich dann in Zorn über die Lüge, die diesem Eindruck innewohnt. Und natürlich verwandelt der Zorn mein Rezeptionsverhalten. Ich mag beeindruckt sein, aber nicht berührt.
Aus diesem Grund ist der Kellerberg kein Terroirwein für mich. Er mag ein Kultwein sein, aber kein Terroirwein. Ihm fehlt das urbildhaft-Typische und die weinmacherische Transparenz. Damit fehlen ihm die beiden wichtigsten Kriterien für einen Terroirwein. Zuallererst ist ein Terroirwein für mich ein stolzes Produkt, das nicht nur auf seine Herkunft verweist, sondern auch mit Stolz seine Herstellung transparent macht.
Euch nun schöne Tage, wo auch immer Ihr seid!
Markus